Die Mär vom fixen Chance-Risiko-Verhältnis (CRV)
September 14, 2017 8:00 amDas Ziel: Mehr Chance und weniger Risiko im Trade
Unglaublich viele Trader propagieren, und darunter auch viele Erfahrene, dass es wichtig ist, ein festes Chance-Risiko-Verhältnis (CRV) zu haben. Grundsätzlich gibt es an diesem Wunsch nichts auszusetzen. Doch eine Aussage wie zum Beispiel: „ Ich gehe keinen Trade ein, wenn er nicht mindestens ein CRV von 3 zu 1 bietet.“, darf man als realitätsfern einstufen.
Um über das CRV zu diskutieren, müssen wir zunächst klären, was damit im Detail gemeint ist. Das CRV ist eigentlich keine statistische Kennzahl eines Handelssystems. Oftmals wird das CRV mit der Payoff-Ratio verwechselt. Bei der Payoff-Ratio handelt es sich wiederum um eine echte Kennzahl. Es ist das Verhältnis aus den Durchschnittsgewinnen und den Durchschnittsverlusten. Das CRV hängt damit eng zusammen. Im Unterschied dazu, geht es aber um den einzelnen Trade.
Payoff-Ratio = Durchschnittsgewinne / Durchschnittsverluste
Chance-Risiko-Verhältnis eines Trades = Potenzieller Gewinnbetrag / Verlustbetrag
Mit den beiden Formeln wird die enge Verwandtschaft deutlich. Der CRV ist der kleinste Bestandteil der Payoff-Ratio. Der Wert des CRV ist von Trade zu Trade unterschiedlich, und in der Summe der durchgeführten Trades ergibt sich daraus die Payoff-Ratio als Kennzahl.
Die Wichtigkeit des CRV für die Performance
Es ist kein Geheimnis, dass die große Mehrheit der Börsianer an der Börse Geld verliert. Hierzu gab es einmal eine Untersuchung eines bekannten CFD-Brokers. Ich habe die Untersuchung selbst nicht im Detail gesehen, sondern nur über das Ergebnis gelesen. Deshalb möchte ich nur von einer These sprechen, die sich allerdings mit meinen Erfahrungen deckt, und mir deshalb glaubwürdig erscheint.
Jedenfalls fiel das Ergebnis der Untersuchung so aus, dass die Mehrzahl der durchgeführten Trades im Betrachtungszeitraum positiv war. Die Trefferquote der Trader lag demnach über 50%. So gesehen, haben die Börsianer keine Probleme richtige Prognosen, über die zukünftige Kursrichtung zu treffen. Allerdings lagen trotzdem die Konten mehrheitlich im Minus. Das lässt die Schlussfolgerung zu: Der typische CRV ist zu klein.
Das Problem der Trader kann deshalb definiert werden: Die Trader schätzen die Marktrichtung oft richtig ein, doch die Mehrzahl der einzelnen CRV war nicht ausreichend hoch.
Wie wichtig der CRV ist, zeigen nachfolgende Zahlenverhältnisse. Es geht hier um die Frage: Wie hoch muss der typische CRV sein, damit das Handelssystem an der Schwelle zur Profitabilität steht?
Quote | CRV |
67% | 0,5 |
50% | 1 |
40% | 1,5 |
33% | 2 |
25% | 3 |
Tabelle: Erforderlich CRV-Werte um an der Gewinnschwelle zu sein.
Die Tabelle sollte für jeden Trader interessant sein, der mit einem konstanten CRV handelt. Die meisten Trader wünschen sich einen CRV von 2. Das wäre schön, denn ein Trader benötigt dann nur noch eine Trefferquote über 33%, um profitabel zu sein. Oder anders herum, wenn ein Trader eine Trefferquote von 40% besitzt, dann muss sein typischer CRV größer als 1,5 sein.
So einfach ist Trading – oder doch nicht?
Die Banalität eines erfolgreichen Tradings könnte jetzt sein, dass ein Trader einfach bei jedem Trade einen guten Stop-Loss setzt. Damit wäre ausgehend vom aktuellen Kurs das Risiko zahlenmäßig definiert. Die Kursdistanz vom aktuellen Kurs bis zum Stop-Loss einfach mit zwei multipliziert und das Ergebnis als Profitstop setzt. Das wäre dann die Gewinnchance.
Bild: Beispiel für die Berechnung eines Trades mit CRV von 2
Das obere Bild zeigt ein Handelsbeispiel mit einen fixen CRV von 2. Ausgehend vom aktuelle Kurs wird ein guter Stop-Loss gesucht. Der Stop-Loss könnte zum Beispiel bei 73 Euro liegen. Bei 77,40 und bei 75 Euro gibt es eine Unterstützung. Demnach wäre ein Stop-Loss bei 73 Euro technisch gut geschützt.
Die Differenz vom aktuellen 82,85 Euro zum Stop-Loss 73 Euro beträgt 9,85 Euro. Dieser Betrag ist unser Risiko. Damit ein CRV von 2 entsteht müssen wir den Betrag multiplizieren (9,85 Euro x 2 = 19,70 Euro. Der Profitstop beträgt folglich 82,85 Euro + 19,70 Euro = 102,55 Euro).
Bei beim fixen CRV kommt nun das ABER
Das Handelsbeispiel ist in der Theorie sehr schön. Wenn Trading so einfach wäre, gäbe es nur noch Erfolgreiche. Leider ist das Trade-Beispiel nur graue Theorie. Warum das so ist, zeigt der nachfolgende Chart mit Widerständen und Unterstützungen.
Bild: Beispiel für CRV von 2 mit Widerstand und Unterstützung
Das Bild zeigt den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Während der Stop-Loss noch gut ausgewählt wurde, weil er durch zwei Unterstützungen geschützt ist, muss man hinter dem Profitstop ein großes Fragezeichen setzen.
Wegen des starren CRV von 2 ist nämlich der berechnete Profitstop bei 102,55 Euro realitätsfern. Damit der Profitstop erreichen werden kann, muss er drei wichtige Widerstände überwinden. Machen wir uns nichts vor, es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass der Kurs spielend nach oben läuft. Es gibt schließlich Widerstände, die überwunden werden müssen.
Im Bild sind sie eingezeichnet, und jeder einzelne ist so stark, dass der Kurs nach unten abprallen könnte. Hinzu kommt, dass der Kursverlauf sich nicht in einem Trend befindet. Es ist eher ein volatiler Seitwärtsmarkt, in dem Widerstände und Unterstützungen eine große Bedeutung haben.
Die Lage des Profitstops macht den Trade schlecht
Wirklich fatal ist die Lage des Profitstops. Nehmen wir an, der Trade funktioniert, und der Kurs kämpft sich durch drei Widerstände hindurch, und erreicht den Profitstop. In diesem Fall muss man das Ergebnis trotzdem als schlechten Trade ansehen, denn der Kurs hätte nach dem Überwinden des Widerstandes von 101,50 Euro freie Bahn nach oben.
Möglicherweise wäre das der Start eines neuen Aufwärtstrends. Dann könnte der Gewinn auch viel weiter ausgebaut werden. Die Gewinne einfach so mitnehmen, nur weil sich der rechnerische CRV von 2 dort befindet, macht einfach keinen Sinn.
Die Praxis zählt und nicht die Theorie
Selbst erfahrene Trader pochen manchmal auf die Mär des fixen CRV. Sollten diese Trader tatsächlich damit erfolgreich sein, könnte es sein, dass sie sich damit selbst limitieren.
Damit Sie mich nicht falsch versehen, ich bin ein Befürworter der Berechnung des CRV. Einen zu kleinen CRV mag ich auch nicht. Der CRV sollte in Abhängigkeit von folgenden Parametern bestimmt werden.
- Trendstärke
- Widerstände und Unterstützungen
- Zyklische Merkmale des Handelswertes
Grundsätzlich kann die Regel aufgestellt werden, dass ein CRV umso größer gewählt werden sollte, wenn sich der Handelswert in einem Trend befindet. Je größer die Trendstärke, desto größer darf der CRV sein. Nicht ganz befriedigend beantwortet wird die Grundsatzfrage, ob man in einem Trend überhaupt mit einem Profitstop arbeiten sollte. Gute Trends haben nun mal die Eigenschaft, dass sie überdurchschnittlich lange laufen. Dabei treiben die Börsianer den Kurs sogar in Bereiche hinein, die mathematisch unwahrscheinlich sind.